Krise schafft wieder Platz für Neues
Neue Konzepte im Einzelhandel sind nun gefragt
von Gerhard Rodler
Die COVID-Pandemie sorgt für eine totale Revolution am Immobilienmarkt, der die Karten am Markt komplett neu mischen wird. Nach bald neun Monaten zeichnen sich neue Trends ab, basierend auf der Einschätzung einer Reihe von Marktteilnehmern, Makler, Developern und Investoren.
Spannend: Praktisch alle Trends, die auch in die Zukunft reichen, gab es schon davor, nur hat es sich nunmehr beschleunigt. Trends, die gekommen sind, um jedenfalls lange zu bleiben.
Besonders deutlich wird das im Retailbereich.
Selbst in Top-Lagen werden nun unerwartet Handelsflächen frei, denn vor allem der bislang gut zahlende Textilhandel dürfte sich nicht mehr auf das Vorkrisen-Niveau zurück kämpfen können. Die Umwälzungen werden damit sogar Flagship-Stores umfassen. Freilich gibt es auch im Handel, Branchen, die davon (noch) verschont sind, der Möbelhandel beispielsweise, oder der Konsumelektronik-Bereich. Aber auch hier könnte es mittelfristig eine Verlagerung in Richtung online geben. Gleichzeitig expandiert der Lebensmittelhandel in unverminderter Geschwindigkeit und PopUp-Stores bereichern leerstehende Handelsflächen ebenso wie Foyers in Officetowers.
Laut aktuellem Marktbericht von Colliers bleibt der österreichische Immobilienmarkt für Investoren aufgrund seiner Stabilität und Planbarkeit jedenfalls in Krisenzeiten attraktiv und hat nach einem schwachen ersten Quartal allmählich wieder Fahrt aufgenommen. Der Anteil internationaler Investoren bleibt hoch; besonders nachgefragt werden weiterhin Assetklassen wie Wohnen, Office oder Logistik. Die Hotelbranche trifft die Krise nach dem Rekordjahr 2019 mit voller Wucht - aufgrund der ausbleibenden Nächtigungen v.a. internationaler Touristen überdenken einige Entwickler ihre geplanten Developments oder passen den Nutzungs-Mix entsprechend an.
Der Retailmarkt werde laut Colliers vom Treibstoff Zuversicht befeuert - und frei werdende Flächen sorgen insbesondere in Toplagen, die sich trotz der Krise hoher Nachfrage erfreuen, für Bewegung. Die Mietpreise bleiben damit stabil.
Industrie und Logistik zeigen deutlich das geänderte Konsumverhalten - der kontinuierliche Anstieg des Jahresumsatzes im Online-Handel führt zu einer ebenso steigenden Nachfrage nach entsprechenden Lagerflächen. Gemeinsam mit steigendem Paketvolumen wird die "last mile" in der Citylogistik immer relevanter. Der Großraum Wien bleibt der wichtigste Logistikmarkt in Österreich.
Insgesamt zeigt sich, dass die Krise noch nicht überwunden ist - aber zumindest erste Anzeichen einer Trendwende erkennbar sind. Deshalb sehen es die Experten von Colliers International wie Oscar Wilde: Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.
Auch für Bürovermieter wird morgen alles anders. Die gute Nachricht: Der Flächenbedarf wird nicht sinken, sondern sich mittelfristig auf dem aktuellen Niveau stabilisieren. Aufgrund der technischen Entwertung bedeutet dies, dass pro Jahr beispielsweise in Wien 300.000 bis 400.000 m2 an neuen Büroflächen gebaut werden müssen, da dies jenen Flächen entspricht, die pro Jahr vom Markt abgehen. Diese Zahl könnte sich kurzfristig sogar noch steigern, da sich die Anforderungen an Büroflächen nochmals massiv geändert haben, und zwar in Richtung viel mehr an Meeting- und Kommunikationsflächen. Branchenexperten schätzen, dass in mindestens 8 % der heutigen Flächen diese Veränderungen technische nicht möglich sind. Umgekehrt bedeutet dies, dass der Bedarf an neuen Flächen in den nächsten drei bis vier Jahren überraschenderweise sogar deutlich steigen wird, um sich dann auf den oben zitierten Mindestbedarf an Neubau einzupendeln.
Ein voraussichtlich nur vorübergehender Trend sind die Probleme im Hotel- und Gastronomiebereich. Auch hier dürfte es zwar zu einem Innovationsschub kommen - beispielsweise mitarbeiterfreien, voll digitalisierten Budgethotels und eine massive Zunahme an CoLiving und Serviced Appartements - im Grunde aber geht man derzeit davon aus, dass sich die Hotels europaweit binnen zwei oder drei Jahren auf dem Vorkrisen-Niveau bei der Auslastung einpendeln werden.